Nathan der Weise – ein Theaterstück zwischen den Kulturen

von | 11. Dez. 2009

Kann man den Lessing überhaupt noch spielen – ist dieses Stück noch aktuell? Wie können Jugendliche sich mit den Inhalten verbinden? Ist das nicht viel zu theoretisch und lehrhaft, zu langatmig, zu wenig dramatisch? Im Vorfeld gab es viele Fragen, die im Laufe der Vorbereitungszeit immer wieder aufkamen. Zwar hatten wir uns seit Jahren vorgenommen, irgendwann einmal etwas mit dem Stück zu machen – nicht zuletzt war der Inhalt Thema einer von Amin Sawa’ed, Ya’akov Arnan und der Unterzeichnerin geleiteten Arbeitsgruppe auf der Jugendtagung „mittendrin“ in Dornach vor zwei Jahren. Seitdem wurde es konkreter, obwohl die meisten der damals begeisterten Jugendlichen schließlich doch nicht dabei waren. Auch ein arabischer Regisseur, der zunächst mitmachen wollte, sprang noch ab – er konnte sich letztlich mit dem Stück nicht anfreunden und hatte auch andere Vorstellungen von ehrenamtlicher Arbeit als wir… Dafür kam Hannah Heckhausen, Theaterpädagogin und ehemalige Freiwillige in Kfar Rafael, dazu und brachte viel Engagement und die nötige Flexibilität für unseren orientalischen Arbeitsstil ein. Ya’akov Arnan brachte Miriam Glass mit, die mit ihm die Theaterschule in Harduf leitet und mit ihm verheiratet ist. Dazu kam Faiz Sawa’ed, Sozialarbeiter mit anthroposophischem wie beduinischem Hintergrund… und all unsere Akteure: Jeweils drei Besetzungen für jede Rolle, die dann auch gemeinsam auf der Bühne agierten, so dass man schließlich vergaß, dass sie nicht nur einer waren: Adrian, Mikhael und Rajah (der Startrommler!) als Nathan, außerdem Taltal, Shafiq, Anna-Lena, Avital, Nivin, Rebecca, Halel, Rowanda, Ken, Eli, Hamza, Joana, Avigail, Hend, Anna-Sophia und Shirin… Jugendliche aus der Waldorfschule in Harduf, der Oberschule in Shfaram, christliche und muslimische Araber, neben Waldorfschülern aus Überlingen, Hannover, Wolfsburg und Freiburg… Zum Team gehörten außerdem die „Versorger“ Eva, Ela, Martha und einige Beleuchter aus Überlingen und die Organisatoren Heiner Schuur (Finanzen, Logistik) und Ilse Wellershoff- Schuur.

Wir durften in der Überlinger Waldorfschule wohnen – in vieler Beziehung ein idealer Ort mit professioneller Bühne und wunderbaren Gemeinschaftsräumen, einschließlich Caféterrasse… Nach kurzer Zeit enstand eine wunderbare Stimmung unter den Jugendlichen:

Als wir nach der ersten Aufführung abends/nachts wieder unter uns waren, begleitete Raphael in gemütlicher Runde auf seiner Gitarre Lieder. Im großen Saal musizierte eine andere Gruppe auf arabische Art. Manche lagen nur da und hörten zu, andere sangen mit, machten Fotos 😉 und alberten herum. Gegen Ende des Abends, oder besser gesagt der Nacht, hatte sich fast die ganze Gruppe der Jugendlichen im Saal versammelt. Radscha trommelte und sang improvisierte Lieder aus zugeworfenen Wörtern. Andere klatschten im Takt, tanzten auf arabische und deutsche Weise und genossen die wunderbar ausgeglichene und fröhliche Stimmung. Man hatte sich nun gut kennen gelernt und aufeinander „eingespielt“. (Anna-Lena)

Nach den harten und intensiven, aber nichtsdestotrotz sonnigen und gutgelaunten Probentagen in Überlingen gab es fünf Aufführungen: zwei in Überlingen, dann in Winterbach, Freiburg und Basel.

Überall hatten wir mehr Besucher als wir wegen der Ferienflaute erwartet hatten. In Winterbach gab es sogar eine sehr wohlwollende und professionelle Presserezension:

So hat man „Nathan den Weisen“ wohl noch nicht gesehen. Da stürmten von links drei junge Frauen auf die Bühne, um ihren zurückkehrenden Vater zu begrüßen. Und auch der Jude Nathan, die berühmte Theaterfigur aus Gotthold Ephraim Lessings 1179 entstandenem Stück, steht gleich dreimal auf der Bühne. Was zuerst überraschend und auch etwas belustigend wirkt, bekam sogleich einen besonderen Sinn, als kunterbunt nacheinander in Hebräisch, Arabisch und Deutsch gesprochen wird. Jene drei Sprachen also, die bei Lessing für die Religionen der Juden, Muslime und Christen stehen. Das interreligiöse und -kulturelle Theaterprojekt nahm seinen Ausgangspunkt im anthroposophisch orientierten Kibbuz Harduf und dem benachbarten Beduinendorf Sawa’ed El-Homeira in Galiläa. … Schon seit einiger Zeit haben dort jüdische und arabische Jugendliche an ihrem Nathan-Projekt unter der Leitung des Regisseurs Ya’akov Arnan gearbeitet. Erst vor vierzehn Tagen stießen dann in Überlingen deutsche Jugendliche dazu und das Stück wurde dreisprachig besetzt. Und schon angesichts dieser nur kurzen Probenzeit war es dann erstaunlich, mit welcher Präsenz die jungen Spieler die Bühne füllten – und dabei mit unpathetisch genauer Sprechkultur den Lessing-Text zum Leben brachten! … Eine besondere Rolle hat in den Aufführungen auch die live zwischen den Aufzügen gespielte Musik. Für unsere Ohren besonders anrührend die israelischen und arabischen Lieder, die das Stück in eine orientalische Gegenwelt zu entrücken scheinen. … Allen Respekt für das seltene dreisprachige Theaterglück. Kein Sprachgewirr zu Babel – eher ein kleines Pfingsten der Verständigung. (Thomas Milz in den Schorndorfer Nachrichten vom 19.8.09)

Die Aufführungen waren Sternstunden für uns alle – wie auch das ganze Projekt ein besonderes Erlebnis war für alle, die dabei sein durften. Eine der Folgen ist eine Einladung zum Weltkongress der Christengemeinschaft „FutureNow“ zu Pfingsten 2010 in Dortmund – weil es ja um ein Pfingstereignis geht… Wir planen fleißig und hoffen, dass es uns gelingen wird, die Jugendlichen noch einmal zusammen zu trommeln, auch wenn bei jedem Einzelnen schulisch viel anderes ansteht. Insbesondere die Israelis stehen dann mitten in ihren Abschlussprüfungen! Außerdem müssen wir natürlich die Finanzen sortieren, denn es wird kaum einem der Aktiven möglich sein, für die äußerst anstrengende Unternehmung auch noch selbst viel Reisegeld aufzubringen! Aber vielleicht klappt es ja, auch mit Hilfe des Kinder- und Jugendplanes der Bundesregierung, der auch dieses Begegnungsprojekt wieder großzügig unterstützen könnte!

Wir danken für die freundliche Unterstützung

  • dem Kinder- und Jugendplan der Bundesregierung (das heißt dem Steuerzahler…) für die Förderung der Jugendbegegnungsmaßnahme,
  • der Freien Waldorfschule Überlingen, wo wir „hausen“ durften, insbesondere den Herren Bockemühl, Seischab und Arslan und Frau Gonschorek,
  • dem Hofgut Rengoldshausen, das uns weitgehend mit Gemüse und Milch verpflegte,
  • der Christengemeinschaft in Überlingen, die uns Ilse Wellershoff- Schuur auslieh, wo es möglich war,
  • der Naturata, die uns Nachlässe gewährte und mehrfach köstlich bekochte,
  • sowie den Ausleihern der Fahrräder, den Spendern von Naturalien und Barem…
  • sowie allen anderen Freunden und Förderern …

Ilse Wellershoff-Schuur

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