Streiflichter aus Reise-Notizen

von | 4. Jan. 2009

Nebenan. Wohnen in der Beduinenfamilie -— wie anders das ist! Im Kibbutz Harduf ist es nach Aussage unserer Sommerlagerteilnehmer doch sehr wie bei vielen von ihnen zuhause, wenn auch mit dem Pioniergeist einer neuen Sozialform, mit vielen ungewöhnlichen Initiativen im Sozialen und Ökologischen. Aber bei den Beduinen nebenan? Auch hier gibt es vereinzelt Ausbrecher, die in Europa studieren oder in der Stadt, auch hier bemüht sich jeder um ein gutes Leben. Und die Kinder wirken – trotz Fernsehens (insofern vielleicht gut, dass es immer noch keinen Strom gibt und das Programmm auf die Abendstunden begrenzt ist, wenn der Generator läuft…) und reichlich Plastikkram so gesund. Sie sind den ganzen Tag mit den zahlreichen Vettern und Cousinen draußen unterwegs, in Bewegung, bei den Tieren und auf den fast unbefahrenen, inzwischen gut ausgebauten Straßen. Das Leben ist sehr einfach, sehr sozial, sehr auf die Großfamilie, den Stamm begrenzt. Und dabei gibt es auch Suliman, den mit den drei Frauen und den über zwanzig Kindern, dessen Mädchen sehr jung aus der Schule genommen werden, um früh verheiratet zu werden… Mir kommt die Frage in den Sinn, die mir neulich eine Vortragszuhörerin stellte -— ob das denn nicht alles überflüssige Konflikte wären, da die Menschen sich doch sowieso so ähnlich seien — Juden und Araber, Rassen und Völker, das wäre doch heute egal. Ja, das ist es wohl, aber man sollte mal hinfahren, um zu sehen, wie vielfältig verschieden die Gesellschaften, Kulturen, Traditionen, Lebensweisen hier sind, wie scheinbar unüberbrückbar die Gegensätze …

Drachensteigen im Beduinendorf

Ein Beispiel -— die Stammesmutter kommt, um der jungen Familie ins Gewissen zu reden. Es ist die Zeit der Wallfahrten nach Mekka, und es gehört zu den traditionellen Aufgaben, die Pilger nach Kräften zu unterstützen, sie gebührend und mit Segenswünschen zu verabschieden und sich um die zuhause gebliebenen Familienmitglieder zu kümmern.

Diese Aufgabe sollte der Sohn (ein Lehrer, der sich in unserem Projekt engagiert) nun langsam mit übernehmen. Und Geld spenden muss man dafür eigentlich auch… Als ob das Spannungsfeld zwischen Beruf, Engagement und der eigenen kleinen Familie und ihren Bedürfnissen nicht schon groß genug wäre… Aber die Eltern im Stich lassen?

Beim Mittagessen bei einer wohlhabenden christlich-arabischen Familie in der Stadt: Der neue Priester der griechisch-katholischen Kirche „Butros und Bulos“ (Peter und Paul) ist zu Besuch. Er gehört zur Familie und man setzt große Hoffnungen auf ihn, vor allem weil er nicht verheiratet ist. In der mit der römisch-katholischen Kirche unierten griechisch-katholischen Kirche werden arabische Priester nur eingestellt, wenn sie verheiratet sind – weil sie dann nicht in der aus Europa geprägten Kirche aufsteigen können! Der zölibatäre Abuna Andraos hat also Chancen, einmal Veränderung zu bewirken. Sieben Jahre hat er in Rom verbracht, ein Mann von Welt. Jetzt muss er sich gefallen lassen, dass Lokalpolitiker unsere Runde stören, weil sie ihn für die bevorstehende Stichwahl des Bürgermeisters der arabischen Stadt instrumentalisieren wollen. Wild gestikulierend reden sie auf ihn ein. Beide Kandidaten sind Muslime.

Welcher ist weniger gefährlich für die Christen? Die Minderheit hat Angst… und grenzt sich darum sehr ab von den Muslimen. Beinahe ostentativ trinkt man Wein und Spirituosen und wundert sich über deutsche Christen, die keinen Alkohol trinken… Abuna Andraos bleibt ruhig und wehrt sich so gut er kann… Die Konflikte, die Ängste sind schon innerhalb der arabischen Stadt so groß, dass es sehr schwer ist, Interesse für interkulturelle Arbeit zu wecken… Womöglich muss man da auch mit Muslimen zusammenarbeiten?

In der Nähe der Kirche von Shfaramr -— die Ruine der alten Synagoge.

Juden wohnen hier schon lange nicht mehr. Es gibt verscheidenste Gründe dafür, dass die meisten Ortschaften „ethnisch” nicht gemischt sind… Die Stadt, jahrhundertelang von Christen regiert, wird zunehmend muslimisch, weil die Muslime die meisten Kinder bekommen, die Christen abwandern. In der Nähe liegt das „Hope House” von Elias Jabbour. Gibt es Hoffnung?

Vor der Waldorfschule in Shfaram

Lehrerkonferenz in der kleinen arabischen Waldorfschule in Man hat die Pfarrerin aus Europa gebeten dabei zu sein, wenn über religiöse Erziehung in der Schule gesprochen wird. Hier werden muslimische, christliche, drusische Kinder zusammen erzogen. Man feiert alle Feste gemeinsam. Der Kindergarten hat drei Gruppen, die Schule zwei Klassen. Die Lehrer sind in einem mehrjährigen berufsbegleitenden Kurs hauptsächlich durch die Lehrer der Waldorfschule im Kibbutz Harduf ausgebildet worden. Einige Fachlehrer sind erfahrene Lehrer dieser seit fasst 20 Jahren bestehenden „Mutterschule”. Einen eigentlichen Religionsunterricht gibt es hier im Lande nicht. Das Miteinander in einer hetont nicht säkularen Schule wirft Probleme auf – die Familien stehen oft unter großem Druck ihres Umfeldes. Weitere Probleme werfen ihre Schatten voraus. Was ist wichtig? Vielleicht nur so viel: Jede Religion ist ein anderer berechtigter Blick auf die höhere Wirklichkeit. Aber was ist ihre Essenz? Das lebendige, individualisierbare Wesen? Wie lassen sich versteinerte Traditionen verlebendigen? Was bedeuten die verschiedenen Rhythmen der Jahresfeste, die Spannungsfelder, die da jedes Jahr neu entstehen? Weites Feld religiöser Erneuerung… und entscheidend: die Frage der Individualisierung der jungen Menschen in sich gegeneinander abgrenzenden gruppengeprägten Traditionsgesellschaften…

was wohl aus unserem gemischten Paar geworden ist? Vor einigen Jahren kamen ein junger Araber und seine jüdisch-israelische Freundin des öfteren zu Veranstaltungen in den Wald. Gern kamen sie, wenn wir Europäer dabei waren. Sie lebten in Haifa, einer der wenigen mehr oder weniger gemischten Städte. Einmal waren sie dazu gekommen, als wir eine Jugendbegegnung zwischen einer deutschen Gruppe und den muslimisch-arabischen Pfadfindern geplant hatten. Das war schwierig genug gewesen im Vorfeld. Dann wurde dem Leiter der Scouts bewusst, was das für Leute waren. Und sofort kam das Ultimatum – entweder die hauen ab oder wir… Die beiden hätten das mitbekommen, bevor wir irgendwie handeln konnten. Am Morgen waren sie verschwunden…

Irgendwann fliegt uns das alles um die Ohren, diese Desinteresse aneinander. Es ist so schwer, die besser gestellten Waldorfschüler oder auch die Erwachsenen aus Harduf davon zu begeistern sich für viele der arabischen Nachbarn zu interessieren, und manchmal finde ich das fast arrogant. Und auch die arabischen Nachbarn leben eigentlich ganz selbstzufrieden in ihrer eigenen Welt. Aber ehrlich gesagt – wie sehr interessieren sich die deutschen Wäaldorfschüler dafür mal etwas mit Migrantenkindern aus Problemvierteln ihrer Stadt zu unternehmen? Wie häufig fragen wir uns , wie wir über den Tellerrand unserer Lebenskreise schauen könnten? Und warum interessieren sich nicht mehr Migrantenfamilien für Kulturbegegnungsprojekte in deutschen Großstädten? Dieser Ort ist nicht nur exemplarisch für das, was uns alle beschäftigen sollte an Kulturkonflikten: er ist Homöopathie für die Menschheit, mal wieder in diesem Land. Denn irgendwann fliegt uns das alles um die Ohren, in Israel/Palästina, in Europa, in der ganzen Welt…

Ilse Wellershoff-Schuur

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