Aus dem Reise-Tagebuch

von | 11. Jun. 2005

Auf der Fahrt vom Flughafen

Vor 12 Jahren war alles noch so anders. Dieses Land, die schnellen Veränderungen… 1993 gab es noch diesen primitiven Flughafen, Busabholung vom Flugzeug, dann kurz der Eindruck einer mondänen Empfangshalle – und draußen der Bretterzaun, fast nichts, Taxen, Busbahnhof, freier Himmel. Schon ca. 2 Jah­ re später wuchs der Luxusbereich langsam – Springbrunnen, Flughafenhalle, zweites Terminal, alles von Jahr zu Jahr edler. Jetzt im Verhältnis zum letzten Sommer wieder enorme Fort­ schritte, vor allem die weitläufigen Andockstationen, keine Busse mehr, kein Hitzeschock. Nur das Erlebnis von sauberem, großzügigem Luxus in Glas, Marmor und Chrom. Und nun noch die direkte Eisenbahnanbindung: Deutsche Regionalbahnen, dä­ nische IC3­Züge mit original DSB­Melodie (merkt aber hier keiner: Klingelton d­es­b, der wohl mitgekauft wurde…). Ein gut ausgebautes Netz. Alles clean und ruhig.

Warum nur finde ich das alles so merkwürdig deprimierend? Hier im Orient, in unmittelbarer Nähe der Slums von Palästina, ja selbst den Dörfern der israelischen Beduinen, wirkt das alles ein wenig deplaziert und taktlos. Ich verstehe den Drang nach Normalität. Wenn ich lange genug in der Altstadt von Jerusalem war, geht es mir ganz genauso: Ich habe die Nase voll von orientalischen Düften, Feilschen und Angequatschtwerden und sehne mich nach einem westlichen Kaufhaus mit festen Preisen und höflich­zurückhaltendem Personal. Und wieder in Deutsch­ land angekommen, atme ich erleichtert auf, wenn alles ruhig, sauber, zuverlässig einfach zur Verfügung steht. Unterschwellig bemerke ich an mir: zivilisatorische Verwöhntheit und Si­ cherheitsbedürfnis.

Toll dieser Zug. Großartig, wie er nicht in die Luft fliegt…

Terrorgefahr – Wer hat eigentlich mein Gepäck durchleuchtet, durchsucht, bevor ich in diesen Zug einstieg? Das heißt aber doch: Niemand hat den Rucksack dieses dunkel­arabisch aus­ sehenden jungen Mannes angeschaut, der da im Gang sitzt? Gewiss, auch er ist am Flughafen eingestiegen, in dessen Be­ reich man nur durch Sicherheitskontrollen kommt. Aber kann man im Auto nicht ziemlich leicht durchkommen, wenn es die richtige Bauart, das richtige Nummernschild hat? Und wie ist das an den anderen Bahnstationen?

Schicksalsergebenheit erfüllt das Herz. Autofahren ist schließ­ lich auch nicht ungefährlich. Ich fühle mich der Möglichkeit ein­ mal mehr näher, wie so oft in diesem Land. Empfinde das als durchaus gesund. So intensiviert sich jedes Gespräch mit den Mächten, die unser Schicksal lenken. Lernt man hier besser, leichter, selbstverständlicher das Beten?

Zuerst fahren wir durch das Ballungsgebiet von Tel Aviv – von Mal zu Mal wirkt es dichter besiedelt. Eigentlich durchaus ästhe­ tisch, modern. Mit charmanten architektonischen, landschafts­ gärtnerischen Details mit orientalischem Anklang. Aber eben durch und durch kommerzialisiert. Von vielspurigen Straßen zerschnitten. Wie eine europäische Großstadt eben. Warum nehme ich das übel? ich weiß doch, dass es auch hier charmantere Stadtteile gibt! Einsame, wüste Landschaften in diesem Land. Jedenfalls noch ein paar…

Sha‘ar laAdam – Bab lil‘Insan

Vor drei Jahren war hier nichts als ein Stück Kiefernwald, ein steiniger Hang hoch über dem Zippori­Tal. Aber damals, kurz nach dem Ausbruch der zweiten Intifada, wurde in drei Tagen überwältigender Menschlichkeit ein Same gelegt zu dem, was auch jetzt höchstens ein Keim ist. (s.a. Rundbrief I, April 2002) Das Gegenteil aller sonstigen Entwicklungen in diesem schnell­ wachsenden, kunstgedüngten Land.

Und doch – der Mittelpunkt dieses besonderen Ortes ist ein ebener, kreisrunder Steinplatz, etwa 15m im Durchmesser in jahrelanger Handarbeit aus dem felsigen, bewachsenen Terrain geschaffen. Eingefasst mit einer etwa 1,2m dicken, sitzbeque­ men Mauer aus Natursteinen. In der Mitte ein Feuerplatz. Dar­ über ein halber Ikosaeder aus Holzstangen, an dem ein loses Leinen­Zeltdach befestigt ist. Die hölzerne Freiluftbühne, die am Hang klebt, hat einen Schuppen bekommen, in dem eine Küche und etwas Stauraum untergebracht sind. Der kleine Garten wird inzwischen nicht nur mit Blumen sondern auch mit etwas Gemüse und Kräutern kultiviert. Drei runde Schlafzelte gibt es, in unterschiedlicher Größe und Ausstattung, das kom­ fortabelste hat einen Ofen, Lehmfußboden, Teppiche und Ma­ tratzen, und ist mit einer Extraschicht aus Dattelpalmenblättern fast winterfest isoliert. Des weiteren Naturklos, Wasser aus dem fest installierten Schlauch an Waschbecken und Dusche, ein Backofen, viele Sitz­ und Arbeitsplätze mit Tischen aus Kabel­ rollen… ein einzelner Olivenbaum versucht, die Monokultur zu beleben. Er muss noch gut geschützt werden. Das sagt alles.

Wie die Steine, die Johannes uns gelehrt hat, auf die Spitze zu stellen. Von selbst geht nichts. Aber mit Geduld und unermüd­ lichem Feingefühl kann das Unmögliche möglich werden.

Mensch und Natur – das ist hier das zweite Thema geworden. Langsam, fast unmerklich, verändert sich alles. Kompromissbe­ reitschaft ist gefordert. Wer seinen Willen durchsetzen will, beißt auf Kalksandstein… Wer kultivieren will, muss vom fundamentalistischen „back to nature“ abweichen. Anderer­ seits: Wer zuviel hat, wird ausgeräubert. Im Wald schlafen kann nur, wer nicht mehr Ballast mit sich führt, als er bequem tragen kann. Die Matratzen sind deutlich nicht für die Ewigkeit angeschafft worden. Sie werden benutzt und sind schon fast verschlissen. Ob jemand bis zum Sommer neue spendet? In­ shallah…

Schade, dass ich zu alt bin für diesen einfachen, friedlichen Lebensstil… oder ist das nur eine Entschuldigung für meine Be­ quemlichkeit? Und: Schade, dass unsere Art von Gottesdienst fast unweigerlich etwas mehr Kultur fordert.

Kultur, die als Gegenpol des bisher hier Gewordenen auch Ya‘a­ kov, unserem Partner von der Theaterschule, wichtig ist. Daher die Bühne, Parsifal, Peer Gynt… Und daher sein dringlicher Wunsch nach einem ersten Steinhaus für die Kapelle, das Haus des Gebetes…

Ich träume von dieser Kapelle im Wald. Im Mittelpunkt des Ortes – der Mensch.

Ilse Wellershoff-­Schuur

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