Man müsste den Begriff „heiligster Ort“ näher definieren, denn die Stadt an sich erlebte ich nicht als besonders heilig. Ich erlebte einige auch für mich spürbar heilige Orte, wobei ich die Grabeskirche nicht dazu zählen kann. Diese war in meiner Wahrnehmung eher oberflächlich, kitschig und kein besonders heiliger Ort. Den Felsendom und die Klagemauer empfand ich dagegen schon als heilige Orte. Dort war eine sehr schöne Atmosphäre und eine „höhere“ Stimmung als nur die alltägliche zu spüren. Dies sind Orte, vor denen ich Respekt habe und an denen ich die heilige Stimmung als ein Menschheitserlebnis wahrnehmen kann.
In Jerusalem beeindruckten mich sehr viele Menschen, aber am meisten die jüdisch-orthodoxen. Sie faszinierten mich besonders. An der Klagemauer konnte man sie am besten beobachten. All die Männer, in Schwarz-Weiß gekleidet, mit großen schwarzen Pelzhüten und Locken an den Seiten ihres Gesichtes, die würdevoll zum Gebet gingen. Ein beeindruckender Augenblick war, als wir an einem jüdischen Feiertag an der Klagemauer vorbei liefen und dort die Gesänge und Gebete der festlich angekleideten jüdisch-orthodoxen Menschen hörten.
Dass in der Stadt häufig Spannungen zwischen den Kulturen entstehen, ist für mich theoretisch natürlich verständlich. Wie können gegensätzliche Kulturen friedlich miteinander leben, wenn doch ihre umstrittenen Heiligtümer direkt nebeneinander, sogar aufeinander gebaut sind? Aber selbst zu erleben, wie Spannungen und große Unterschiede in den Kulturen spürbar werden im Alltag, war doch sehr aufregend. Man fühlte sich wie in zwei Welten: An der Klagemauer war man ganz in der heiligen jüdischen Welt, aber wenn man ein Stück weiterging, stand man auf einmal vor einem arabischen Kaufmann, mitten auf dem arabischen Markt. Diesen starken Kontrast erlebte man oft in Jerusalem, am stärksten wenn man den Gebetsgesang aus den arabischen Minaretten tönen hörte und gleichzeitig die Glocken christlicher Kirchen zu hören waren.
Ich bin mit einer offenen Haltung der Stadt gegenüber getreten und nahm sie auf, so wie sie war, beeindruckend, aufregend und interessant. Das Leben dort ist unglaublich intensiv, vielfältig und bunt, an manchen Stellen sehr kitschig und an anderen wiederum heilig. Sicherlich ist das tägliche Leben oft auch schwierig für die Bewohner der Stadt, die täglich herausgefordert werden durch das Zusammenleben mit den „Anderen“.
Jerusalem ist meiner Meinung nach keine verlorene Stadt ohne Hoffnung, aber ohne Veränderung auch keine Stadt der Zukunft. Für eine Zukunftsstadt müsste mehr Gemeinschaft zwischen den Kulturen entstehen und individuelle Entwicklung mehr gefördert werden.
Jerusalem ist eine Stadt, die der Welt viel bedeutet. Dort ist schon zu viel Geschichte passiert, als das sie bedeutungslos werden könnte. Hier leben verschiedene Weltreligionen und Kulturen so eng beieinander, und heilige Orte die von den verschieden Kulturen bewahrt werden, werden von Menschen aus der ganzen Welt voller Sehnsucht und Ehrfurcht besucht. Schon daran erlebe ich, dass die Stadt von beispielloser Bedeutung ist und auf eine Art auch heute noch im Mittelpunkt des Weltgeschehens steht.
Fiona Pedersen
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