Ein christlicher Impuls …

von | 14. Sep. 2002

Welche Rolle spielt das Christentum und besonders die Christengemeinschaft in unserer Initiative? Tatsächlich stand der Begegnungsaspekt der Reisen und des geplanten Zentrums für uns zu Zeiten so im Vordergrund, dass die Frage aufkam, warum uns dieser spezielle Aspekt so wichtig erscheint, und ob es nicht eigentlich freilassender und in den so andersartigen religiösen Zusammenhängen sogar diplomatisch günstiger sei, das Christliche nicht so sehr zu betonen.

Für die Menschen in Israel im Allgemeinen und in den Kreisen um Harduf im Besonderen stellen sich religiöse Fragen einerseits mit existentieller Eindringlichkeit, andererseits gibt es viele Fettnäpfchen, Stolperfallen und Stacheldrähte, die ein unbefangenes Suchen auf diesem Gebiet erschweren. Da ist zum einen die Rolle, die die sogenannten „Religiösen“ in Judentum und Islam spielen, und durch die alles wirklich Religiöse in ähnlicher Weise in ein schlechtes Licht gerät wie das Christentum unter aufgeklärten Menschen durch den christlich-protestantischen Fundamentalismus in den USA in jüngster Zeit. Die Frage, ob wir „religiös“ seien, ist insofern mit Vorsicht zu beantworten: Zuerst wäre zu klären, was damit eigentlich gemeint ist. Außerdem kennt man in Israel das Christentum in den verschiedenen exotischsten und bizarrsten Varianten, was zu weiteren Vorurteilen führt.

Und doch ist die Sehnsucht groß, ein lebendiges religiöses Leben kennen zu lernen. Uns so gab es von Anfang an trotz unserer Haltung, das Kultische eher „lagerintern“ zu veranstalten und nicht dafür zu werben immer wieder Nachfragen und Gespräche, die dann auch zu ersten eigenen Versuchen mit der Menschen-Weihehandlung führten. Gerade unter den Anthroposophen sind etliche, die in Europa studiert haben und dort Kontakt zur Christengemeinschaft hatten. Aber auch ganz neue Menschen haben so erste Erfahrungen mit dem Kultus gemacht. Darunter sind zum Beispiel zwei sehr konsequente Damen aus der ehemaligen Sowjetunion, die dort schon in den 70er Jahren Kontakte zur Anthroposophie hatten, in Israel jeweils als Musikerin und Heilpädagogin zur therapeutischen Gemeinschaft Kfar Raphael fanden, und denen die Reise nach Harduf nicht zu weit war, um für ein paar Tage im Sommer an der Menschen-Weihehandlung teilnehmen zu können.

Seit Sommer 2000 gibt es außerdem Begegnungen mit arabischen Christen aus der griechisch-katholischen Kirche in Shfaram, die sich ebenfalls mit der Christologie Rudolf Steiners beschäftigen. Hier ist ein großes Verständnis für das Sakramentale und die Urtatsachen des Christentums vorhanden, dazu gibt es ein ausgesprochenes Bedürfnis nach „religiöser Erneuerung“. Auch begegnen wir muslimisch-arabischen Israelis, die mit der Anthroposophie leben, und denen sehr deutlich ist, dass unsere Kirche schon dadurch etwas anderes ist, dass sie jedem Menschen seinen eigenen Weg zum Christus zugesteht, und einen Muslim nicht von vornherein als „rettungsbedürftig“ ansieht.

Inzwischen gibt es einen kleinen Kreis sehr engagierter Menschen, die regelmäßig an den Handlungen teilnehmen und mehr über die Christengemeinschaft lernen wollen. Gerade diese Menschen hoffen, dass mit dem Begegnungszentrum auch die Präsenz der Christengemeinschaft intensiviert werden kann, so dass es ab und zu Seminare und Tagungen geben wird. Oft muss das Thema gar nicht im äußeren Sinne „theologisch“ sein gerade die Beschäftigung mit der Frage nach dem Menschen, dem Motto des Begegnungszentrums, ist jedem zugänglich und doch zutiefst religiös. Auf dem Seminar mit den arabischen Pfadfinderleitern wurde dies im letzten Sommer sehr deutlich.

Die früher eher kritisch-vorsichtige Haltung einiger Menschen in Harduf, die um den Ruf des Kibbuz fürchteten, scheint in letzter Zeit verwandelt in eine sehr bejahende Geste. An eine Gemeindegründung zu denken, ist sicherlich noch viel zu früh. Aber je freilassender wir mit den Menschen und dem Faktor Zeit umgehen, umso kräftiger wird der Impuls einer religiösen Erneuerung unweigerlich werden. Viele offene Fragen werden uns bis dahin begleiten und vor allem immer wieder auch die Erfahrung, dass das Miterleben der religiösen Fragen anderer bei jedem noch so christlich-etablierten und übersättigten Mitteleuropäer viele wertvolle eigene Fragen aufwirft. Gerade vielen Jugendlichen ist das Element „Christengemeinschaft“ deshalb immer wichtiger geworden.

Ilse Wellershoff-Schuur

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