Begegnungen mit „Tor zur Welt“ – ein denkwürdiges Jubiläum in Oldenburg

von | 3. Nov. 2023

Alles war natürlich ganz anders als erwartet, nicht nur anders als damals. Nicht nur, weil etwas gewachsen ist in den 25 Jahren des Bestehens des Vereins „Tor zur Welt – Sha’ar laOlam – Bab le’alAlem e.V.“. Nicht nur, weil wir alle älter geworden sind, auch die Orte haben sich physisch verändert. Wächst in Galiläa ein Ort heran, wie wir ihn damals in unseren Visionen bewegten? Oder ist es ganz anders geworden? In Oldenburg, wo wir uns trafen, weil es der Ursprungsort der Initiative war, tagten wir vom 13. bis 15. Oktober nicht in einer Wohnzimmerkirche wie damals der kleine Jugendkreis, sondern in einem hellen Kirchengebäude, einem neu entstandenen „Kulturgebiet“.

Das Jubiläumstreffen war aber vor allem so ganz anders, weil so merkwürdig gleichzeitig eine neue Zeit anbrach, mit einer so erschütterten Stimmung, wie wir sie in den 25 Jahren Leben mit dem Nahostkonflikt nie erlebt hatten. Der Krieg war noch keine Woche alt, als wir zusammenkamen. Der erschütternde Terroranschlag, die tiefe Verunsicherung, die Sorgen und Verluste, betrafen alle Teilnehmer aus Israel und uns andere oft auch sehr persönlich. Frage: Dürfen wir trotzdem feiern? Und wenn ja, wie?

Da waren wir nun, am Freitag, den 13. Oktober, getreu unserem über ein Jahr zuvor getroffenen Vorsatz, versammelt in Norddeutschland. Und wundersamerweise waren trotz allem viele gekommen, und noch denkwürdiger: Trotz der besonderen Situation kam etwa ein Viertel der knapp 50 Teilnehmer aus Galiläa – die Mitbegründer Yaakov und Miriam Arnan, Amin Sawaed mit seiner Frau Fatma, dazu eine Auswahl der Schauspieler des HaMila-Theaters, das vom selben Trägerverein betrieben wird wie die Begegnungsstätte Sha’ar laAdam – Bab l’il Insan. Außerdem Teilnehmer des damaligen Jugendkreises, die heute Mittvierziger sind, ehemalige Jugendcampteilnehmer aus verschiedenen Phasen der Bewegung, die die Arbeit weitergetragen haben durch all die Jahre, der Vorstand des Vereins, aktive Mitglieder und Förderer und zehn der ehemaligen Freiwilligendienstleistenden aus den letzten Jahren, von den Freunden der Erziehungskunst und der jüdischen Entsendeorganisation… Dazu einiges an Kindern und Kindeskindern… Im Schnitt insgesamt doch eher junge Leute. Wie jemand sagte: Wir sind eine Familie, nein, wir sind viel mehr als eine Familie. Die Begegnungsstätte Sha’ar laAdam – Bab l’il Insan ist eine neue Kultur der menschheitlichen Gemeinsamkeit…

Die Aufführung des dramatisch-lyrischen Ereignisses „Jerusalem im Weben von Schatten und Licht“ war ein Geschenk, entstanden aus der Einladung an das HaMila-Theater zur Weltkonferenz am Goetheanum zu Michaeli, zwei Wochen vor dem Jubiläum. Nun wird das Stück eine Deutung der Menschheitssituation, auch ein wenig Selbsttherapie für die Akteure, die auf ihrer Tournee, von Dornach kommend nach Aufführungen in Basel, Freiburg und Überlingen in Frankfurt von den Ereignissen im Heimatland kalt erwischt wurden. Sofort waren für die meisten Bezüge zu konkreten Menschen da, zu Opfern, die man kannte, Sorgen um Angehörige und Freunde, von denen keiner wusste, was ihnen geschehen war, weil alles unklar war und teilweise heute noch ist. Wer ist überhaupt noch am Leben von denen, von denen man nicht mehr hört? Die Sorge um die Menschen zuhause, die daheimgebliebenen Angehörigen, die Rückreisemöglichkeiten am Ende der Tournee, sie waren immer dabei, überschatteten eine unbeschwerte Feier, führten die Gefühle und Gedanken in die Tiefe. Kann man so überhaupt Theater spielen? Oder ist es so, wie einer der Beteiligten sagte: Da kann man nur noch Theater spielen, wenn man nicht verrückt werden will! W. B. Yeats‘ Stück zur Auferstehung, eine Szene aus Solovjovs „Antichrist“, etwas aus Christopher Frys „A Sleep of Prisoners“… „The human heart can go to the lengths of God…“, eingerahmt von hebräischen Gedichten von Iftach Ben-Aharon, ein modernes Mysterienspiel. Dazu die geniale Musik, insbesondere das arabisch gesungene erste Gedicht zu Jerusalem…

Kurz vorher hatte in der Begegnungsstätte im Heiligen Land zu Michaeli, zum Laubhüttenfest, und auch zum Geburtstag des Propheten Mohammed eine Friedensübungswoche mit lokalen und aus Deutschland angereisten Teilnehmern stattgefunden. „Mi-ChaEl – Wer ist wie Gott?“. Das Thema Menschsein — Menschwerden hatten uns beschäftigt, die Frage, was der Mensch tun kann, um wirklich Mensch zu werden, Fragen nach der Resilienz, den Nebenübungen, dem Gebet aus dem Beichtsakrament der Christengemeinschaft. „Thank God our time is now, when wrong comes up to face us everywhere…“. Heute kommt immer alles anders, wie halten wir das aus?

Einige Teilnehmer des Jubiläumswochenendes waren erst ein paar Tage vor dem Terroranschlag von der dorther aus Israel gekommen, bzw. zurückgekehrt. Einige Mitreisende waren aber auch im Land geblieben, um ein Praktikum oder Urlaub zu machen. Sie waren nun davon betroffen, dass Flüge storniert wurden, die Heimreise in Frage stand. Im Hintergrund liefen ständig die Hilfestellungen, die Nachfragen der Angehörigen, während umgekehrt auch die Israelis neue Wege nach hause suchten. Über Frankfurt? Amsterdam, Berlin? Oder doch erst nach England? Oder über Amman? Die daheimgebliebenen Angehörigen protestieren, in Ägypten waren gerade zwei israelische Touristen ermordet worden in der Folge der Ereignisse. Die Stimmung drohte zu kippen, im ganzen Nahen Osten, aber auch in Deutschland. Doch es hagelte auch lieb gemeinte Angebote. Überall wäre man willkommen, wollte man denn länger bleiben. Aber jeder wollte in dieser Lage doch lieber zuhause sein. Auch für die Deutschen in Israel gab es zahlreiche Hilfsangebote, auch sie wollten aber nach hause oder in ein anderes Praktikumsland…

Im Laufe der Jahre ist etwas gewachsen, das uns verbindet, und im Laufe des Wochenendes belebte sich diese Verbindung auch zwischen Menschen, die sich vorher noch nicht gekannt hatten, denn wir waren ja nicht alle gleichzeitig in Sha’ar laAdam – Bab l’il Insan. Der Name ist so wahr — der deutsche: „Tor zur Welt“, denn wir werden immer mehr Weltenbürger, schauen über das hinaus, was uns im Kleinen, in den Gruppenzugehörigkeiten, fesselt. Aber auch der arabisch-hebräische Name, der „Tor zum Menschen“ bedeutet, zum Menschsein, zum Menschwerden…

Der Mensch ist der Schlüssel. Wie es in der Gedenkstunde am Samstagmorgen bei einem der Teilnehmer hieß: Wir dürfen nie vergessen dass in jedem Menschen, auch dem grausamsten Terroristen oder dem tödliche Befehle ausführenden Soldaten, im weltfremden Ideologen oder im autoritären Politiker, ein Mensch steckt und damit ein Funke Gottebenbildlichkeit, der das Individuum ausmacht, auch wo es kaum zu erkennen ist. Insofern sind wir verwandter als Verwandte, alle Kinder einer schöpferischen Idee, auch wenn wir es verdrängen, vergessen, verleugnen. In der Gedenkstunde wird auch sonst Bemerkenswertes gesagt. Was hat der Einzelnen, dem Einzelnen die Begegnung mit diesem besonderen Ort für ihr Leben bedeutet? Eindrücklich der Bericht eines Islamwissenschaftlers, der jetzt bei der Welthungerhilfe arbeitet, und der über die Veränderungen in der politischen Lage in den letzten 25 Jahren berichtete, sowie das sehr persönliche Statement eines unserer Mitglieder der ersten Stunde, der die aktuelle Lage als Diplomat und Mitglied des Krisenstabs im Auswärtigen Amt verfolgt. Auch viele andere erzählen davon, wie ihr beruflicher und privater Weg beeinflusst wurde von der Idee, dass wir alle Verantwortung tragen, dass wir etwas tun können, dass unser Einsatz nie egal ist, ob als Künstler, Lehrer, Aktivist…

Gerade weil alles anders kommt in unseren Zeiten. „Affairs are now soul-size. The enterprise is exploration into God.“ Wenn wir unsere Arbeit nicht so hätten tun können – wie viel schlimmer hätte es vielleihcht noch kommen können?

Es folgt in Kürze: Ein Bericht zu den Aktivitäten in der Begegnungsstätte in diesen Tagen …

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