Ein paar Tage vor der Abreise konnte ich es kaum glauben, ja sogar noch in Tel Aviv am Flughafen, wenige Minuten vor dem Abflug war es unwirklich: Mein Freiwilligendienst in Sha’ar laAdam – Bab l’il Insan war zuende.
Die Minuten nach der Ankunft wieder in Deutschland waren genauso seltsam. Es fühlte sich so an, als wäre ich für die Dauer eines Wimpernschlags weg gewesen und niemand hätte etwas bemerkt. Na gut, nicht ganz. Doch trotzdem musste ich erst mal begreifen, dass Shaar laAdam wirklich existiert, dass ich unterwegs war und auf einmal nicht mehr, was ich alles erlebt und gesehen hatte. Recht schnell habe ich bemerkt, dass sich mein Rückblick auf das Jahr verändert, andere Schwerpunkte bekommt.
Als ich noch in Israel war, wirkte vieles intensiver, dramatischer, ernster. Es war ein richtiges Leben, ein Stück zu Hause, was man sich dort aufbaute. Mit vielen unter-schiedlichen Menschen, für jede Situation die passenden. Die einen zum Zuhören, die anderen zum Lachen, zum Weinen, zum Streiten, Kuscheln, zur Organisation, zur Beratung, welche, um das Land zu erkunden und weitere zum Ausruhen. Ein Leben mit Zweifeln, schlechter Laune und Herausforderung, die im Gruppenleben auftauchen, für die ich manchmal keine Lösung sah. Mit Orten der Inspiration, der Fülle, der Konflikte, Ruhe und Einfachheit. Mit Läden, Märkten und Früchten, an denen wir uns ausprobierten, entdeckten und perfektionierten. Alles verschmolz zu einem einfachen Alltag, wie jeder einen hat.
Gleichzeitig gab es immer wieder Momente mit besonderer Tiefe. Diese Momente waren Gespräche, Begegnungen, Nachrichten, die mich berührten. Manchmal reichten nur ein Blick oder ein Wort. Auf einmal begriff ich etwas, hatte eine Idee und häufig viele neue Fragen. Mit der Zeit füllten sich immer mehr Notizbücher.
Wenn ich jetzt in meinem Zimmer sitze, tauchen manchmal recht unerwartet Gedanken über meine Zeit in Israel auf. Präsent sind jetzt weniger die Alltagssorgen oder die großen Fragen der Menschheit, für die man dort viel Raum zum Denken hatte. Vielmehr erinnere ich mich jetzt an Menschen, Situationen, und Erlebnisse. An lustige, verrückte, aufregen-de, Momente. Auch an die schweren und traurigen, aber sie sind jetzt leichter. Wenn mein Blick auf ein Foto fällt, ein getrocknetes Blatt oder eine kleine Zeichnung, dann versinke ich für einen Moment in dem Bild und es durchströmt mich ein Gefühl, fast so, als stünde ich in an dem Ort. Etwas banaler ist es mit kleinen Mitbringseln wie selbstgetöpferten Schalen aus der Keramikwerkstatt von Beit Elisha, einem gefundenen Bilderrahmen oder Kleidungsstücken, die wir untereinander getauscht haben und die mich bei jedem Tragen an jemanden erinnern.
Aktuelle Nachrichten in den Medien. Meine Notizbücher. Und nicht zu vergessen die Tatsache, dass man über das Handy gut in Kontakt mit seinen Wegbegleitern bleiben kann. Spätestens nach dieser Aufzählung merke ich, dass meine Reise nicht geträumt ist und dass mich die Zeit in der Begegnungsstätte längst überall begleitet.
Manchmal muss ich traurig einsehen, wie viel mir wieder verloren geht von dem, was mir dort sehr wichtig war. Ich sehne ich mich danach, dass Sha’ar laAdam ein kleines Nachbardorf ist, wo ich einfach mal mit dem Fahrrad hin radeln kann. Den ganzen Tag draußen sein, an der Luft, in der Natur. Spüren, wie Wetter und Jahreszeiten die Stimmung verändern können. Spontan sein. Unpünktlich sein. Menschen mit Kleinigkeiten ein Freude machen. Die Langsamkeit der Zeit genießen. Und den Gedanken nachhängen.
Zum Glück habe ich ja noch meine Erinnerungen. Wenn ich also abends nicht einschlafen kann, weil es zu still ist im Haus und in meinem Kopf zu viel los ist, denke ich daran, wie ich in meinem Bett in Israel liege, draußen die Grillen zirpen, der Wind durch die Bäume weht und wie ich mir keine Gedanken über morgen machen muss.
Hannah Bender
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