Wer hätte gedacht, dass als eine der ersten feierlichen Veranstaltungen im Andachtshaus eine Hochzeitszeremonie gefeiert wird? Aber relativ plötzlich verbreitete sich im Herbst 2019 die Nachricht, dass Faiz Sawa’ed, unser langjähriger Manager, heiraten würde. Ohne Faiz wäre die Begegnungsstätte nicht das, zu dem sie bisher geworden ist. Er hat als Verantwortlicher für das Projekt Ten maßgeblich dazu beigetragen, diesen Ort zu gestalten. Faiz stammt aus dem Sawa’ed-Stamm, unseren Partnern und Mitbegründern, ist anthroposophischer Sozialarbeiter mit internationaler Erfahrung und ein echter Weltbürger.
Seine Braut ist eine Kindergärtnerin aus dem Waldorfkindergarten in der arabischen Stadt Shfaram. Sie stammt aus dem Beduinenort auf der anderen Seite der Begegnungsstätte – Ka’abiya. Auch sie ist seit vielen Jahren mit der Anthroposophie unterwegs…
Die Hochzeit erstreckte sich über mehrere Tage, wie dies bei traditionellen arabischen Hochzeiten üblich ist. Vom deutschen Förderverein waren mit Ilse Wellershoff-Schuur, Robert Schulz und Anselm Schelcher gleich drei Vorstandsmitglieder angereist, um dem Brautpaar die Ehre zu erweisen.
Die Hochzeit begann mit einem Abend in Ka’abiya, dem Heimatdorf von Fatima in direkter Nachbarschaft zur Begegnungsstätte. Das ganze Dorf war festlich geschmückt, und die Bewohner nahmen Anteil an den Festlichkeiten. Für die männlichen Gäste war dies ein eher unspektakulärer Teil des Festes. Diese saßen bei gewohnt gutem arabischem Kaffee abgetrennt zusammen und warteten, denn dies war der Abend der Frauen. Fatima, ihre Verwandtschaft und die vielen weiblichen Gäste – auch aus den waldorfpädagogischen Initiativen – tanzten zu lauter arabischen Musik eines extra dafür engagierten DJs. Als ein Höhepunkt des Abends kam Faiz mit einer großen Entourage nach Ka’abiya, um seine zukünftige Frau der Tradition nach abzuholen.
Der zweite Tag fand im Beduinendorf Sawa’ed El-Homeira statt, dem Heimatort von Faiz. Dies war der Tag, an dem Faiz sowie Amin und sein Vater als Oberhäupter des Stammes die vielen Gäste offiziell empfingen und begrüßten.
Der dritte und letzte Hochzeitstag fand dann im Andachtshaus in der Begegnungsstätte statt. Das Gebäude, zwar noch ohne Türen, Fenster und Boden, war festlich geschmückt und beleuchtet. Beginnend mit dem Pachelbel-Kanon, aufgeführt von Teilnehmerinnen der Jugendgruppe im Wald, begann die Zeremonie im übervoll besetzten Andachtshaus. Die Gäste kamen aus Harduf, den benachbarten arabischen Gemeinden und auch etliche ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Projekte waren angereist. Es folgten Beiträge der Drama-School, der Kindergarten-Kolleginnen von Fatma und weiterer Weggefährten der beiden. Zentraler Teil war eine an das Hochzeitsritual der Christengemeinschaft angelehnte Zeremonie/Ansprache mit zwei Holzstäben und einem Band von Ilse Wellershoff-Schuur. Das Ritual wurde später von Abu Amin, dem Stammesältesten der Sawa’ed-Beduinen und großen Unterstützer des Begegnungs-Impulses, in sehr schöner Weise im islamischen Kontext weitergeführt.
Und so war dies ein sehr inspirierendes und absolut angemessenes Fest im Andachtshaus, was damit schon vor der Fertigstellung einmal mehr seine Bestimmung als Raum der Begegnung der unterschiedlichen Kulturen und Religionen erfüllt hat.
Anselm Schelcher
Ein Erlebnisbericht zur Hochzeitsfeier von Ilse Wellershoff-Schuur erschien in der Wochenschrift für Anthroposophie ‚Das Goetheanum‘ und ist hier abrufbar.
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