Mitte Oktober 2011 fand im Kibbuz Harduf in den grünen Hügeln Galiläas zwischen Haifa und Nazareth in Israel eine Friedens-Übungswoche statt. Über ihre Entstehungsgeschichte mag ein anderer schreiben. Was mich betrifft, so bin ich da einfach hereingerutscht. Meine Praktikumsmentorin am Priesterseminar fragte, ob ich sie begleiten wollte. Ein abenteuerliches Praktikum, und ich ließ mich darauf ein.
Wir waren ein bunter Haufen hauptsächlich Russisch und Deutsch sprechender Menschen. Viele der von den Israelis so genannten „Russen“ hier waren neue Einwanderer nach Israel und damit auch Hebräischsprecher. Viele konnten Englisch als Brückensprache. Die Friedensübung fing daher damit an, dass man viel Geduld aufbringen musste, alles in mindestens drei Sprachen wiederholt zu hören.
Die Konfrontationen, Missverständnisse und negativen Gefühle zwischen Palästinensern und Israelis standen im Zentrum der Gespräche und Übungen. Am Dienstag fand im politischen Israel zeitgleich die Freilassung des seit fünf Jahren gefangen gehaltenen, heute 25jährigen israelischen Soldaten Gilad Shalit statt: im Austausch gegen über 1000 gefangene Palästinenser! Es war ein großer Tag für beide Seiten.
Doch wie kann man einen einzigen Soldaten gegen so viele Gefangene der Gegenseite austauschen? Für uns Außenstehende war das schwer zu verstehen. Manche versuchten sich eine Brücke zu bauen, indem sie mit dem Thema der Woche, das ja „Völkerschicksale“ hieß, die so unterschiedliche Seelenverfassung dieser beiden Völker zu ergründen suchten. In Rollenspielen erlebten wir in der Arbeitsgruppe – ganz archetypisch und nicht auf individuelle Schicksale übertragbar natürlich – die starke Verbundenheit der Palästinenser mit der Erde, mit der Familie, dem Stamm. Daraus folgt eine gelebte Emotionalität wenn es um Angriffe auf diese Werte geht, der die stark betonte Individualität und Eigenwilligkeit, die Abstraktionsfähigkeit und die kühle emotionale Distanziertheit auf der israelischen Seite gegenübersteht. Das sind natürlich gefährliche Klischees, vieles an Gefühlen ist mehr aus der Geschichte entstanden, aus den Verletzungen, die man einander zugefügt hat, und es gibt überall auch Entsprechungen und Überschneidungen. Ein Beispiel aus der Natur des Waldes von Sha‘ar laAdam wurde uns zum Bild des Konfliktes:
Eine Vase mit einem Olivenzweig und einem Pinienzweig in unserer Mitte symbolisierte diese Polarität treffend. Hier das Bild des Olivenbaumes, fruchtbar, lebensspendend, den Menschen die umhüllende Wärme des Olivenöls schenkend. Dort das Bild der Pinie, durchlichtet, klar, Exaktheit bis in die Spitzen der Nadeln konzentriert. Wo Pinien stehen, kann ein Olivenbaum keine Frucht bringen… und doch braucht das Land beide Baumarten!
Der Kampf und Krieg der beiden Seiten wird getragen von Wut und Schmerz der Palästinenser über erlittenes Unrecht einerseits und den Ängsten und der Unsicherheit der Israelis angesichts der gefühlten Bedrohung durch Terror und Vernichtungswillen andererseits. Für Juden gilt ein einziges Menschenleben traditionell viel, denn es könnte ja dieser eine der erhoffte Messias sein, oder zumindest sein Vorfahre. Die Palästinenser denken dagegen stark an das Wohl des Stammes, der Gemeinschaft, obwohl auch im Islam das einzelne Leben sehr hoch bewertet wird. Natürlich ist das immer anders, wenn konkrete Menschen betroffen sind. Man konnte sich nur vorsichtig in die Stimmungen hinein fühlen, und ob das erklären kann, wie es zu so einem ungleichen Austausch von Gefangenen kam, blieb eine offene Frage. Man kann sich aber auch fragen, wieso Israel überhaupt so viele Gefangene hat…
Zu einem großen Teil organisiert und getragen wurde die Friedenswoche von zwei ungleichen Freunden: Faez Sawa‘ed, einem arabisch-palästinensischen Israeli, und Ya‘akov Arnan, einem jüdischen Israeli. In ihrer Mitte reifte der Plan, der in der Wochenmitte der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Da ging es zur Lösung des Konflikts um ein einheitliches Staatengebilde in einer Grenze, oder zwei Staaten in einem Land, mit zwei möglichen Staatsangehörigkeiten. Unterteilt wäre es in weitgehend sich selbst verwaltende „Kantone“. Eine Vision, die aus dem Herzen beider Seiten kommt und durchführbar wäre. Das geht aber nur, wenn man auf ein gemeinsames Ziel blickt: Frieden und Freiheit in Einheit verschiedener Völker.
Die allmorgendliche Menschenweihehehandlung war eine Grundlage der Arbeit der versammelten Menschen, die gar nicht alle bekennende Christen waren. Sie hörten im Kultus von dem, der die Willen stärkt und die Menschen einet. Dieser Gedanke könnte einst die Vase sein, in der Olivenzweig und Pinienzweig einträchtig zusammenstehen.
Ute Lorenz
0 Kommentare