Was bedeuten Völkerschicksale in unserer Zeit?

von | 11. Dez. 2009 | Berichte, Friedensübungswochen, Rundbrief 13 (2009) | 0 Kommentare

In der Woche vom 4. bis 10 Oktober kamen etwa 70 Menschen zu einer Friedensübungswoche im Kibbuz Harduf / Galiläa zusammen. Es waren zum Teil Bewohner der unmittelbaren Umgebung von Harduf und aus verschiedenen Orten in Israel, andere waren angereist aus Mitteleuropa, den Baltischen Ländern und Osteuropa. Zahlreich waren auch die, die im Verlauf ihrer Biographie außerhalb ihrer ursprünglichen Heimat Fuß gefasst haben. Menschen mit jüdischem, muslimischem und christlichem religiösem Hintergrund trafen sich hier und auch solche, die aus unterschiedlichen Gründen bewusste Spiritualität lange Zeit nicht gelebt hatten. Das Verbindende wohl für alle war zuvor die Begegnung und Beschäftigung mit Anthroposophie in ganz verschieden gearteten Gruppen und Initiativen.

Für Wege, Stationen und Wendepunkte in den Biographien gab es in dieser Woche sowohl innerhalb der gemeinsamen Arbeit als auch in vielen persönlichen Begegnungen warmes Interesse und intensiven Austausch. Mit beständigen Übersetzungen innerhalb der Sprachen Englisch, Russisch, Hebräisch und Deutsch wurden Sprachbarrieren in Grenzen gehalten.

Die sieben Tage der gemeinsamen Arbeit hatten – wie gewohnt bei den Friedensübungswochen – in der Menschenweihehandlung am Morgen und dem Abendabschluss einen gleichbleibenden Rahmen.

Zur Einstimmung gab es am Morgen einen gemeinsamen künstlerischen Beginn mit Eurythmischem, Betrachtungen der Geste des jeweiligen Wochentages und Bewegung in einem gemeinsam geschaffenen Raum des Tönens.

In den darauf folgenden Vormittagsstunden wurde in zwei Gruppen am Thema der Tagung gearbeitet. Ilse Wellerhoff-Schuur leitete eine Gesprächsgruppe, in der es um die Kreuzungen, Kreuzwege, Kreuzigungen ging, die die Menschen mit diesem Land verbinden und urbildlich auch im Leben eines jeden auftauchen. Es gab eine Einführung in die spirituelle Geschichte des Heiligen Landes, Übungen zu unseren religiösen und nationalen/ethnischen Prägungen sowie auch zur Gewaltfreien Kommunikation. Die Arbeit mündete in Betrachtungen zur Friedensfähigkeit, die erübt werden kann durch das Sich-Verbinden mit den Kräften, die in christlichen Kulturen auch Christuskräfte genannt werden, und die in nicht christlich geprägten Kulturen unter anderen Namen als Ideale ebenso erstrebt werden – als die Kräfte des Verzeihens, der Liebe, des verbindenden Wortes…..

Eine zweite Gruppe – begleitet von Armen Tougu – arbeitete mit 14 Fragen, die die Teilnehmer zusammengetragen hatten. Sie kreisten um die zentralen Fragen nach den Faktoren, die am Frieden hindern, nach Aufgaben und Verantwortungen und nach Schritten, derer es bedarf, damit für alle Bewohner Israels die Feindseligkeiten einem friedlichen Zusammenleben weichen können.

Stellvertretend für die größere Anzahl von Fragestellern „konfrontierten“ sich drei Menschen mit diesen – auch in ihren Beziehungen zueinander im Raum sichtbar gemachten – Fragen. So wurden die Teilnehmer dieser Arbeitsgruppe Zeugen des Ringens mit Fragen des inneren Friedens, des Gewahr-Werdens eigener Unzulänglichkeiten und Widerstände, des Bemühens um Selbsterkenntnis. Im Schlussbild am Ende der Woche standen die, die durch den Prozess gegangen waren, vor der „Frage nach der Rolle des Christus in Israel“, die eng verbunden war mit der Frage, „welche Aufgaben arabisches und jüdisches Volk – seine Menschen – einander gegenüber haben“. Spätestens an dieser Stelle wurde allen klar, wie sehr arabische Vertreter, arabische Fragesteller – physisch – fehlten bei dieser Arbeit, die in dieser Woche einen Anfang genommen hat und noch vieler weiterer Treffen bedarf.

Persönliche Begegnungen und Austausch boten sich in kleinen Gruppen bei Biographiearbeit, Plastizieren, einer Clownstruppe, Malen, Märchen-Schreiben, Wahrnehmungen in der Natur und bei den Exkursionen nach Nazareth, nach Akko zum Theaterfestival, nach Galiläa und zu den Golanhöhen.

Vorträge von Rosa, Ilse und Armen eröffneten Perspektiven zum Schicksal des Jüdischen Volkes, zur jüngeren Geschichte und Soziologie des Landes Israel und zur Rolle des jüdischen und des arabischen Volkes innerhalb der Menschheitsentwicklung.

Am Abend „Old Men tell Their Story“ erzählten zwei betagte Männer – ein Araber und ein Jude – sehr lebendig aus ihrer Biographie , über die politische Entwicklung innerhalb dieses Landes, ihre persönliche Friedensarbeit und die ihrer Väter. Dies ergänzte den kurzen ersten Eindruck, den die Teilnehmer zu Beginn der Woche bei einem Empfang im Zelt von Abu Amin, Taha Sawa’ed, von der Lebensart der Volksgruppen gewinnen konnten.

Eine Besonderheit der Friedensübungswochen – das allnächtliche Lesen eines Evangeliums – fand hier eine neue Form: Im Andachtsraum lagen Tanach, Neues Testament und Koran in verschiedenen Sprachen bereit.

Zur Abschiedsstunde versammelten sich die Teilnehmer ein letztes Mal auf dem Gelände von Sha`ar laAdam – an dem Platz, an welchem in naher Zukunft ein „Haus der Andacht“ errichtet werden wird: jeder einzelne der Teilnehmer gab dem Grundstein für diese künftige Stätte der Besinnung, der von Hand zu Hand gereicht wurde, aus dem Herzen gesprochene Worte mit – ein gemeinsam gewonnener Extrakt aus der Arbeit der zu Ende gegangenen Friedensübungswoche.

Meine persönlichen Eindrücke als Teilnehmerin vieler vergangener Friedensübungswochen: Mitgebrachte Vorstellungen zerbröselten, Fragen-Stellen, Sich-in-Frage-Stellen treibt mich noch immer um und findet Übertragungen auf heimischem Felde. Trennung auf die Spitze getrieben intensiviert die Suche nach gemeinsamen Anknüpfungspunkten und die Frage: Wer bist du –jenseits des in deinem „Ausweis“ Festgeschriebenen. In Erinnerung bleibt auch der gemeinsame Mitvollzug der Menschenweihehandlung „verschiedenster“ Menschen und die große Offenheit für diesen Prozess.

Großer Dank all denen, die durch Vorbereitung und Organisation dieser Woche den Einstieg in die Friedensübungsarbeit in Israel ermöglichten. Tieferes Verstehen braucht Weiterarbeit.

Ilse Wellershoff-Schuur

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