Kurz vor meiner letzten Israelreise bekam ich ein anscheinend häufig verkauftes Taschenbuch über „unser“ Thema, das Zusammenleben von Juden und Arabern in Galiläa (und ganz Israel) in die Hände: „Sie schenkten mir Dornen – Ausgegrenzt im Land der Verheißung“ von Susan Nathan. Obwohl ich auf Grund des reißerischen Titels und des ziemlich eindeutigen Textes auf der Rückseite ein zwiespältiges Gefühl hatte, kaufte ich das Buch und begann die Lektüre mit viel Interesse, da es viele interessante Detalinformationen bietet und flott geschrieben ist.
Zunächst geht es um die persönliche Geschichte der Susan Nathan: Als Jüdin in England aufgewachsen, mit litauischen und südafrikanischen Wurzeln, macht sie mit 50 Jahren, als ihre Kinder groß sind und nach einer Scheidung ihren Traum wahr und wandert nach Israel ein. Schon bald bemerkt sie dort, dass es – für sie analog zu Südafrika – Menschen verschiedener Klassen gibt im Land der Verheißung, und nach einiger Zeit beschließt sie, ein Zeichen zu setzen und in eine arabische Stadt zu ziehen (nach Tamra, nördlich von Shfaram). So weit ist das Buch für mich ganz unkontrovers und spannend zu lesen, weil es die Verwandlung einer glühenden Zionistin in eine kritische Staatsbürgerin beschreibt. Bei vielen der „Fallberichte“ meldete sich bei mir allerdings schon Zweifel bis Sachverstand – und häufig musste ich bei der Lektüre ein „Ja aber…“ hinzufügen, denn so manches ist ein bisschen schief oder einseitig dargestellt, und an vielen Stellen merkt der Kenner der Verhältnisse, dass es auch ganz anders sein könnte – oder dass das, was ihr erzählt wurde, vielleicht von der anderen Seite anders aussieht.
Egal, ich war und bin Susan Nathan dankbar dafür, dass sie das Thema in den Fokus rückt.
Was mir dann aber im zweiten Teil des Buches begegnete, machte mich doch wieder skeptisch auch gegenüber den Wahrheiten aus dem ersten Teil des Buches: Als es um das „Versagen“ der linken und friedensbewegten Israelis geht, die ziemlich oberflächlich abgewatscht werden, befand ich mich plötzlich in Harduf, im Sawa’ed-Dorf, bei Shvil Sahav mit Harry Finkbeiner… lauter alte Bekannte – und ein Mißverständnis neben dem anderen, ganz zu schweigen von den schlichten sachlichen Fehlern!
Das hat mich dann doch ziemlich geschockt: Amin Sawa’ed zum Beispiel ist in Deutschland zur Grundschule gegangen, weil seine Eltern in Israel keine Schulbildung für ihn bekamen (da geht es wohl um sein Studium? Im Zusammenhang damit, dass die Dorfschule geschlossen wurde???), der Kindergarten im immer noch nicht anerkannten Dorf der Sawa’ed ist von der deutschen Regierung gestiftet (der kam von der israelischen Regionalverwaltung als das Dorf anerkannt worden war, und dann haben wir im folgenden Sommer den Garten und den Spielplatz gestaltet, mit Spendengeldern des Vereins…) Die beduinischen Freunde sind arme Opfer, die sich an die heuchlerischen Kibbuzniks verkaufen, die israelischen Freunde nutzen die Araber nur aus, Treffen in dem „Indianerlager“, das der Kibbuz gebaut hat (Das wüssten wir aber…?) gehen so von statten, dass auf der einen Seite die Araber sitzen, auf der anderen die Juden, und man sich nur für den Fototermin die Hand gibt… Ya’akov Arnan wird für seine beiläufige Äußerung, er sei noch nie in Tamra gewesen, so betrachtet, als habe er damit gesagt, er betrete nie arabische Orte (obwohl er natürlich in Shfaram, Nazareth und Akko sehr bekannt ist als Friedensaktivist, dort ständig verkehrt und viele Freunde hat…).
Da wurde mir dann doch klar, dass vielleicht auch andere Teile des Buches mit sehr viel Vorsicht zu genießen sind. Ich habe bei meinem letzten Besuch mit den Menschen in Harduf und Sawa’ed über das Buch gesprochen – und die meisten hatten die kurzen Begegnungen mit Susan Nathan in sehr problematischer Erinnerung. Nicht nur mein Eindruck war, dass sie selbst wohl die Opferrolle des Ausgegrenztseins sehr gern angenommen hat (Der deutsche Titel ist in dieser Beziehung mehr als suggstiv – auf Englisch heißt das Buch schlicht „The Other Side – My Journey across the Arab-Israeli Divide“, viel neutraler!). Als Hannah Finkbeiner versuchte, mit ihr darüber ins Gespräch zu kommen, kam es zum Eklat, der im Buch auch – in verständlicherweise einseitiger Manier – beschrieben wird…
Für mich ist das Buch eine unglückliche Mischung aus guten Intentionen und einer Menge Halbwahrheiten und als Fakten beschriebener einseitiger Erlebnisse. Es würde zu weit führen, hier alle Fehler aufzuführen, die mir aufgefallen sind, aber wer die Verhältnisse in der Begegnungsstätte und in Harduf kennt, ist gut gerüstet, und wird sich vielleicht sogar über das „Wiedersehen“ freuen! Es ist gut, dass das Thema im Ausland auf so viel Interesse stößt – aber die Tatsache, dass das Buch in Israel noch nicht erschienen ist, ist angesichts der schlecht recherchierten Tatsachenlage vielleicht noch einmal anders zu verstehen, als die Autorin in vielen Interviews Glauben machen will: Da heißt es nämlich dann wieder, man grenze sie aus, wolle das Thema verdrängen, zensur und so weiter. Vielleicht sollte sie es mit einer zweiten Auflage versuchen, in der die gröbsten Fehler berichtigt werden könnten. Aber eventuell hat sie sich an die „Dornen“ auch inzwischen ganz gut gewöhnt und verdient nicht schlecht an ihnen…
Susan Nathan, Bastei Lübbe, 2007, TB €8,95
Ilse Wellershoff-Schuur
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