Es ist schon Abend und dunkel, als wir per Bahn in der Hafenstadt Haifa ankommen. Galiläa bei Nacht glitzert und leuchtet von den unzähligen Städten und Dörfern auf den Bergkuppen und an den Berghängen. Manche mit grüner Festbeleuchtung an einer Moschee. Es ist Ramadan, der islamische Fastenmonat. Und der Oktober ist noch heiß in Galiläa.
Nach einer halben Stunde mit dem Auto sind wir hoch in den Bergen im Kibbuz Harduf. Eine kleine Wohnung mit Südterrasse wird für eine Woche unser Zuhause, umgeben von blühenden Büschen.
Am nächsten Morgen besichtigen wir mit Ilse Wellershoff-Schuur das „Tor zum Menschen – Sha’ar laAdam“, den Tagungsplatz im Kiefernwald am Rande des Kibbuz. Der große Platz mit seinem zeltartigen Tuchbahnen zwischen den Bäumen bietet kühlen Schatten. Ein offener TheaFußwege und viele, viele Steine. Jetzt fast unbelebt. Was wollen wir hier? Warum sind wir von Oldenburg gekommen? Was haben wir mit diesem fernen, fremden Land zu tun?
Bald treffen wir Re’i, der mit großer Gelassenheit und unerschütterlich ökologischen Zielen das Gelände pflegt und entwickelt. Oder Gila, die uns oft so warmherzig zum Essen einlädt, dass an Ablehnung nicht zu denken ist. Oder Avi und Assja, unsere Kontaktarchitekten, die in einem hölzernen Bauwagen zwei Kinder und ihr Büro großziehen. Oder Ya’akov, der freundlich und beharrlich neue Impulse für die anthroposophische Entwicklung des Kibbuz gibt. So fremd das Land scheint, die Menschen sind uns sofort so vertraut wie Freunde. Ya’akov ist es auch, der uns bewegt, im Wald umgehend einen geeigneten Platz für das „House of Devotion“ auszusuchen. Und von den vielen Steinen zu befreien. Wir schwitzen mit ihm und einigen Helfern zusammen ganz schön bei der Arbeit. Auf jeden Stein, den wir wegtragen, scheinen zwei neue aus der Erde herauszuwachsen. Am Nachmittag ist es soweit. Auf dem Platz versammeln sich Bewohner des Kibbuz, arabische Christen aus der Nachbarstadt, zwei katholisch orthodoxe Nonnen, junge und alte Bewohner des benachbarten arabischen Dorfes, Waldorfpädagogen, angereiste russisch-israelische Freunde und wer weiß noch wer. In einer kleinen Zeremonie wird der geistige Start für das Haus gegeben, das allen Menschen, gleich welcher Religion, offen stehen wird für Gottesdienst, Meditation und religiös-kulturelle Vertiefung. Denn die Begegnungsstätte „Sha’ar laAdam“ soll auch die Möglichkeit bieten, das religiöse Fundament zu erfahren und zu pflegen, das allen Religionen zugrunde liegt. Auch wenn die einzelnen Formen unterschiedlich sein mögen.
In den folgenden Tagen wissen wir auch, was wir hier sollen. Das „House of Devotion“ wird an Ort und Stelle konkreter durchdacht, skizziert und diskutiert. Welche Materialien, welche Bautechnik, wie erdbebensicher, wie geeignet bei der Herstellung durch Jugendgruppen, usw.? Das Gebäude soll 2009 fertig werden. Ein ehrgeiziges Ziel, wenn noch kein Geld da ist. Das Geld soll nun eingeworben werden. Und alle sind überzeugt, dass es gelingt. Denn das „House of Devotion“ ist eines der Fundamente, auf denen sich die Begegnungsstätte der Völker und Religionen entwickeln soll.
Am nächsten Nachmittag geht es mit Amin, dem arabischen Waldorflehrer, seinem Vater, dem Muchtar, Ilse und uns nach Nazareth. In Nazareth ist Rushhour, da alle vor Sonnenuntergang noch schnell etwas einkaufen zum täglichen Festmahl des Fastenbrechens. Wir fransen uns mit Mühe durch und kommen gerade noch rechtzeitig an. In einem geräumigen Gartenhof werden wir als „Söhne und Töchter Abrahams“ begrüßt und an die Tafel gebeten mit 200 anderen Gästen aller Religionen und Nationalitäten. Rabbiner, Scheichs und Pfarrer halten temperamentvolle Reden auf Hebräisch und Arabisch. Wir verstehen nur die Gesten und den Wortklang, die Freundschaft und Zuneigung ausdrücken. Ein amerikanischer Rabbiner kommt zwischendrin immer wieder zu uns und fasst englisch zusammen, um was es in den Reden geht. Unterdessen wird zum Fastenbrechen wunderbar getafelt mit landesüblichen Gerichten. Kuchen, Datteln und arabischer Kaffee zum Schluss. Eine warmherzige, brüderliche Stimmung ergreift uns alle. Es könnte so einfach sein zu sammenzuleben in diesem komplizierten Land. Der irische Priester an unserem Tisch ist skeptisch und hoffnungsvoll zugleich. Skeptisch von seiner angelsächsischen Natur aus. Hoffnungsvoll weil er sagt: „Ich komme aus Irland und habe lange in Südafrika gearbeitet. In beiden Ländern wurzeln schwere Konflikte seit Jahrhunderten. In beiden Ländern sind Menschen dabei, diese Konflikte zu bewältigen. Dann könnt ihr in Israel-Palästina es auch schaffen.“
Nach den Tagen in Harduf fahren wir mit Ilse Wellershoff-Schuur längs des Küstenballungsraumes südwärts nach Rehovot, einer Hochhausvorstadt von Tel Aviv. Im 8. Stock werden wir von einer Gruppe russlandstämmiger Israelis erwartet, die anthroposophische Friedensarbeit leisten wollen. Die kleine Zeremonie für das „House of Devotion“ und eine vorhergehende internationale Friedenswoche in Estland hat uns zusammengeführt. Wir diskutieren, wie diese Gruppe mit dem Kibbuz Harduf und dem Verein „Tor zur Welt“, der „Sha’ar laAdam“ initiiert hat, zusammenarbeiten kann. Ob eine Internationale Friedensübungswoche in Israel stattfinden kann. Und natürlich wird unser Treffen mit russischer Gastfreundschaft abgerundet.
Weiter geht’s nach Jerusalem. Wieder geraten wir in die Hektik des Ramadannachmittages, wo in den Basarstraßen solch ein Gedränge ist, dass wir mit unseren Koffern kaum durchkommen. Doch sobald die Tür unseres Quartiers, des österreichischen Hospizes, hinter uns ins Schloss fällt, herrschen tiefe Ruhe, kühler Schatten und Apfelstrudel mit Schlagober. Eine Oase Mitteleuropas im Gewühle Jerusalems. Zwei Tage sind natürlich viel zu wenig Zeit für diese Stadt. Ilse versucht mit einem souveränen Crashkurs, uns das Wichtigste zu zeigen. Und lässt Besonderheiten, die kaum ein Tourist sieht, nicht fehlen. Wir hatten auch die wirkliche Ehre, am letzten Tag des Ramadan das Fastenmahl zusammen mit einem Sufi-Gelehrten und seiner Familie einzunehmen. Nichts von Dogmatik, nichts von patriarchalischer Enge lebt im Hause von Scheich AbdulAziz Bukhari. Warmes Interesse für unser Projekt, für unser Leben und unsere Auffassungen prägten das Gespräch, an dem seine Frau und die erwachsenen Kinder lebhaft teilnahmen.
Alle Menschen, die wir in Israel getroffen haben, wollen den Frieden auf eine ernste, uneigennützige Art. Sie sind skeptisch genug, keine Wunder zu erwarten. Aber sie sind voller Hoffnung und der Überzeugung, dass es Sinn macht, sich mit ganzer Person für den Frieden einzusetzen.
Robert Lütjens mit Gabriele Hübener
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