Ansichten aus Ramallah

von | 5. Aug. 2006

Nach über sieben Besuchen in Israel hatte ich mich letztes  Wintersemester entschlossen die palästinensische Seite durch einen Studienaufenthalt an der Bir Zeit University Ramallah kennen zu lernen. An der Uni der palästinensischen Kulturhauptstadt studieren an fünf Fakultäten ca. 7000 Studenten aus ganz Palästina, darunter viele Christen. Auffallend ist, dass alle Studenten sehr politisiert sind. Die Hochschulgruppen der Parteien sind auf dem Campus sehr aktiv und fast jeder Student ist Mitglied oder sympatnhisiert mit Fatah, PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) oder Hamas.

An sich lässt es sich in Ramallah gut leben. Es gibt eine Menge an kulturellen Einrichtungen, Kinos, ein Konzerthaus und das deutsch-französische Kulturzentrum. An Ausländer sind die Palästinenser durch die vielen Reporter und Regierungsvertreter gewöhnt und ich fühlte mich sehr sicher. Schnell ist man auch im 20 km entfernten Jerusalem, um einen Abend dort zu verbringen und sogar Tel Aviv ist für einen Tagesausflug überhaupt nicht weit. Dies ist den meisten Palästinensern allerdings nicht möglich! Bedeuten Checkpoints und Straßensperren für uns Ausländer lediglich langes Warten und Verzögerung bei der Weiterreise, ist es vielen Palästinensern nicht erlaubt nach Jerusalem (und auch nicht in den arabischen Osten) zu fahren. So habe ich viele Leute getroffen, die seit langem nicht, oder sogar überhaupt noch nie in Jerusalem waren oder das Mittelmeer gesehen haben.

Was ich von israelischer Seite als „Sicherheitszaun“ kennen gelernt habe, der die Israelis vor Selbstmordanschlägen schützen soll, wird von den Palästinensern als „Apartneitsmauer“ bezeichnet, die Felder von ihren Eigentümern trennt und mitunter ganze Nachbarschaften auseinanderreißt. Hinzukommen die jüdischen Siedlungen mit ihren Extra-Straßen-Systemen, die die Westbank wie Löcher in einem Schweizer Käse durchziehen. Weil sie so unmittelbar das Leben betrifft, ist Politik ein häufiges Gesprächsthema. Viele Palästinenser sind den Konflikt leid, wollen in Ruhe ihr Leben leben und haben sich mit der Existenz des Staates Israel irgendwie abgefunden.

Moschee in Bir Zeit. Foto: Anselm Schelcher

So ist Israel eine Tatsache mit der man leben muss, vielleicht sogar noch Handel treiben kann, auch wenn der jüdische Staat gemeinhin als Eindringling in den arabisch-islamisch geprägten Kulturkreis empfunden wird.

Es lassen sich viele Beispiele finden, die im nationalen Bewusstsein der beiden Völker eine kolossal verschiedene Bedeutung haben. Ein Beispiel ist der israelische Unabhängigkeitstag (jom na-hatzma ut), der für die Araber der Tag der Katastrophe (jaum an-naqgba) bedeutet.

Generell bin ich durch meinen Aufenthalt in Palästina – was den Nahostkonflikt angeht — etwas pessimistischer geworden. Mag durch Verhandlungen auf politischer Ebene in Zukunft vielleicht ein Leben in Koexistenz möglich sein, zu wirklichem Verständnis und einem Leben miteinander ist es noch sehr weit.

Vertrauen und gegenseitiger Respekt sind dazu unverzichtbar. Und Initiativen wie Sha‘ar laAdam tragen meiner Meinung nach dazu bei. Hier werden aktiv Beitrage zu Verständigung auf persönlicher Ebene geschaffen und darin liegt für mich die Wichtigkeit und Bedeutung unseres Vereins.

Anselm Schelcher

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